T. H. White: Lebenslauf, Bücher und Rezensionen bei LovelyBooks (2024)

Marion Zimmer-Bradley, Mary Stewart, Bernard Cornwell, Persia Woolley, Mark Twain. Die Liste der Autoren und Autorinnen, welche den britischen Mythos König Artus/King Arthur aufgegriffen und neu interpretiert haben, ist lang und kann sich durchaus sehen bzw. lesen lassen. Alle haben auf ihre Weise die Geschichte über den erhabenen Begründer der Tafelrunde, seinen Lehrer Merlin, Morgan Le Fay, Guinevere und Lancelot nachbearbeitet, umgestaltet und jeweils verschiedene Erzählperspektiven gewählt, um diese sagenumwobene Gestalt, deren Ursprünge bereits im 9. Jahrhundert zu finden sind, lebendig werden zu lassen. Ein Großteil stützt sich dabei auf die älteste überlieferte Artusgeschichte, die „Historia Regum Britanniae“ („Geschichte der Könige Britanniens“) von Geoffrey of Monmouth (um 1135) und Sir Thomas Malorys „Le Morte D'Arthur“ (posthum veröffentlicht 1485). Auffällig ist, dass in den meisten Adaptionen Artus selbst nur eine schwache oder widersprüchliche Rolle spielt, wohingegen seine Wegbegleiter zu eigenen Helden oder zu die Handlung tragenden Hauptfiguren stilisiert werden. Eine der wenigen Ausnahmen ist „Der König auf Camelot“ von Terence Hanbury White.

Der in Bombay, Indien geborene Schriftsteller White begann mit der Arbeit an dem vierteiligen Epos „Der König auf Camelot“ fast zu selben Zeit wie J.R.R. Tolkien an „Der Herr der Ringe“. Und wie bei diesem lagen zwischen Beginn und Fertigstellung seines Werks gleich mehrere Jahrzehnte. Die ersten drei Bücher entstanden in den Jahren 1938, 1939 und 1940, unter dem Eindruck des beginnenden Zweiten Weltkriegs, welcher den Autor und damit letztlich auch seine Romane stark geprägt hat. Im Jahr 1958 folgte dann der vierte Band als Teil einer Gesamtveröffentlichung. Auf eine deutsche Übersetzung musste man bis zur zweibändigen Ausgabe von 1976 warten, der 2004 schließlich eine Neuausgabe bei Klett Cotta folgte, in welcher alle vier Bücher enthalten sind. Der Inhalt der einzelnen Geschichten sei an dieser Stelle kurz angerissen:

„Das Schwert im Stein“ (Erstes Buch):
Dieses Buch führt den Leser zurück in die Jugendzeit von Artus bzw. Arthur, die als Ziehsohn Sir Ectors vergleichsweise sorgenfrei ausfällt. Allerdings spielt der Junge, der von allen nur „Wart“ (Warze) genannt wird, nur eine untergeordnete Rolle neben Sir Ectors leiblichem Sohn Kay, welcher in späteren Jahren die Nachfolge des Ritterguts antreten soll. Warts Träume sind bescheiden. Ihm reicht es eines Tages als Schildknappe seinem Stiefbruder zu dienen. Eine Einstellung, die sich erst nach dem Zusammentreffen mit Merlin langsam ändert.

Der magische und zerstreute Zauberer, welcher „rückwärts“ in die Zukunft lebt, übernimmt die Bildung des Jungen (dessen Schicksal er ja bereits kennt) und verwandelt ihn immer wieder in verschiedene Tiere, damit dieser die unterschiedlichen Lebensphilosophien studieren und daraus lernen kann. In der Gestalt eines Fisches macht er Bekanntheit mit dem einsamen, als Tyrann herrschenden Hecht im Burggraben. Er erlebt das militärische und unpersönliche System der kriegführenden Ameisen und verbringt eine Nacht im Haus der Beizvögel, welche in ihrer Art an eine Fliegerstaffel der Royal Air Force gemahnt. Am meisten prägt ihn jedoch sein Ausflug mit den ziehenden Gänsen, die weder Grenzen, noch Eigentum oder Frieden kennen und seine spätere Vorstellung von Gerechtigkeit maßgeblich beeinflussen. Merlin gibt ihm all diese Erfahrungen mithilfe seiner Magie mit auf den Weg, bis er ihn schließlich verlässt und erst dann zurückkehrt, als Wart Excalibur aus Stein und Amboss befreit … und sich damit selbst zum König von England proklamiert.

„Die Königin von Luft und Dunkelheit“ (Zweites Buch):
Arthur ist mittlerweile König und muss all seine Kraft darauf einsetzen, die vielen Barone und Unterkönige zu vereinen, welche den Jungspund nicht als Herrscher anerkennen wollen und deshalb gegen ihn in den Krieg ziehen. Um das Chaos und das Leid zu beenden, führt er die Tafelrunde ein, welche die gedankenlose Gewaltbereitschaft des Adels für gute Zwecke kanalisieren und somit die alte Willkür abschaffen soll. Doch weder die besten Ritter des Landes noch der bald für immer entschwindende Merlin können verhindern, das Arthur ahnungslos eine inzestuöse Beziehung zu Morgause von Orkney (seiner Stiefschwester) eingeht, aus der dem König in nicht allzu ferner Zukunft ein gnadenloser Widersacher erwachsen wird.

„Der missratene Ritter“ (Drittes Buch):
Buch drei erzählt von den Rittern der Tafelrunde und ihren Abenteuern, zuoberst vom „besten Ritter der Welt“, Sir Lanzelot (Lancelot), welcher seit Kindheitstagen trainiert, um Arthurs Botschaft mit dem Schwert zu verteidigen. Als endlich der langersehnte Tag da ist und er am Hof seines großen Idols ankommt, übermannt ihn Eifersucht auf die Frau an des Königs Seite, Ginevra (Guinevere). Doch aus Neid und Missgunst wird bald Liebe. Die wunderschöne Königin und der (in Whites Version) hässliche Ritter gehen eine Affäre ein, welche Arthur so gut es geht zu ignorieren versucht. Er empfindet Liebe für beide und möchte keinen der beiden verlieren. Sein Herz ist immer noch das eines Jungen, der keine Bosheit kennt und zuallererst an das Gute glaubt. Als die Situation für alle drei unerträglich wird, zieht es Lanzelot auf Queste. Über viele Monate vollbringt er tollkühne Taten in Britannien, bis er schließlich eines Tages von einer Prinzessin verführt und seiner Jungfräulichkeit beraubt wird. Aus der Verbindung entspringt ein Sohn: Galahad, der spätere Gralsritter.

Dieses uneheliche Kind ist der erste Keim des Misstrauens zwischen Lanzelot und Ginevra, die sich nun zunehmend anfeinden. Und auch die Tafelrunde droht zu zerbrechen. Da alle bösen Lords tot, alle Prinzessinen gerettet und alle Riesen und Drachen besiegt sind, gibt es für die nach Kampf gierenden Ritter plötzlich nichts mehr tun. Die Untätigkeit führt schließlich dazu, dass man sich alter Rechnungen und Fehden erinnert, und Zwietracht die Runde zersprengt. Um dem Einhalt zu gebieten muss eine größere Aufgabe her. Arthur schickt sie auf die hohe Suche nach dem Heiligen Gral.

„Die Kerze im Wind“ (Viertes Buch):
Arthurs unehelicher Sohn Mordred, der seinen Vater aus tiefster Seele hasst, ersinnt einen Plan, um den gealterten König endgültig zu stürzen. Er will ihm die beiden Menschen nehmen, welche ihm am wichtigsten sind: Ginevra und Lanzelot. Gnadenlos zerrt er die Affäre der beiden ans Licht, so dass sich Arthur, der gerade das Zivilrecht eingeführt hat und ein Vorbild für seine Untertanen sein will, dazu gezwungen sieht, dem Paar den Prozess zu machen. Während Lanzelot fliehen kann, droht Ginevra der Tod auf dem Scheiterhaufen. Arthur ist verzweifelt. Seine letzte Hoffnung ruht auf Lanzelot, der bereit steht, seine Liebe zu retten. Doch darauf hat Mordred bereits gewartet …

Was sich aufgelistet hintereinander wie eine fortlaufende Romanreihe liest, ist in der Realität zwischen den Buchdeckeln ein äußerst sperriges Werk, dessen einzelne Glieder nicht so recht zueinander passen wollen. Viele Kritiker haben T.H. White bereits diese große Inhom*ogenität zwischen und innerhalb der vier Teile vorgeworfen, welche der Autor sogar selbst bestätigt hat. Und ich kann nur in dasselbe Horn blasen, denn „Der König auf Camelot“ ist ein stetes Auf und Ab, das oftmals in mehrere Richtungen gleichzeitig will und daran fast zu scheitern droht. Es gibt keinen durchgängigen Ton, keinerlei Konstanz im Stil und in der Perspektive der Erzählung. Das führt letztlich natürlich auch dazu, dass es beinahe unmöglich ist, die vorher gehegten Erwartungen in irgendeiner Art und Weise erfüllt zu sehen. Ob man auf eine Artus-Sage im klassischen Gewande gehofft oder sich wie ich eine humorvolle Erzählung des berühmten Sagenstoffes versprochen hat: Es kommt in jedem Fall anders, als gedacht.

Zumindest zu Beginn lag ich jedenfalls mit meiner Einschätzung richtig, denn Buch Eins regt über weite Strecken immer wieder zum Lachen und Schmunzeln an und liest sich wie eine Parodie auf den Ritterroman. Das liegt nicht nur an den Verwandlungen Warts, sondern auch an den anderen Figuren. Allen voran König Pellinore, dessen historische Verpflichtung, das gefürchtete Aventiure-Tier zu erlegen, für äußerst amüsante Momente sorgt (wenngleich die ewige Jagd letztlich unerwartet tragisch endet). Mit von der Partie ist auch Robin Hood, der sich hier Robin „Wood“ nennt, und Arthur auf sein erstes Abenteuer schickt, bei dem dieser gleich Bekanntschaft mit der Hexe Morgan macht. Warum der grüngekleidete Rächer der Armen und Schwachen allerdings auftaucht, um dann im weiteren Verlauf keine Rolle mehr zu spielen, hat sich mir nicht wirklich erschlossen. Und auch sonst überrascht White mit einigen Brüchen innerhalb der Erzählung. Ist die Zauberei zu Beginn noch tragendes Element und wichtig für Arthurs Beziehung, bleibt sie später ohne große Bedeutung, was mit Merlins Verschwinden nur unzureichend erklärt wird (die Hexenschwestern sind schließlich noch da). Allein das Rittertum ist durchgehend in all seinen Formen präsent, wobei White die Gepflogenheiten der Lords und Sirs, ihr Geprahle und stundenlanges Messen im Kampfe, mit derart lapidarer Komik vorbringt, das man als Leser nicht umhin kann zu grinsen. Überhaupt ist dem Autor ein Hang zur Überzeichnung Eigen, der sich in den folgenden Büchern auch auf der düsteren Seite zeigt. Das Buch Eins letztlich als Grundlage für die Disney-Trickfilmadaption „Die Hexe und der Zauberer“ gedient hat, verwundert nur wenig. (Die Gemeinsamkeiten zwischen Buch und Film sind aber insgesamt gering. Auch Madame Mim sucht man in der literarischen Vorlage vergebens.)

Neben aller Komik haben Merlins Lehren jedoch auch einen ernsten Hintergrund. Der Zauberer versucht Arthur auf die Gefahren unkontrollierter Macht aufmerksam zu machen. Auf die große Versuchung, Macht und Stärke zu missbrauchen, um die Schwachen auszubeuten. Im Gegensatz zu Tolkien, der stets Wert darauf gelegt hat zu betonen, dass es sich bei „Der Herr der Ringe“ nicht um eine Allegorie handelt, nimmt White direkt Bezug auf die politische Situation, welche er zurzeit der Niederschrift der ersten drei Bände erlebt hat. Auch wenn Hitlers Name nicht fällt und stattdessen von einem „jungen Österreicher“ die Rede ist, liest man die Gesellschaftskritik zwischen den Zeilen immer wieder heraus. Manchmal wird sie dem Leser, dem der Autor, so scheint es, nicht immer genug Feingespür zutraut, sogar mit der Holzhammermethode um die Ohren gehauen. Wenn die Ameisen zum Lied „Ameisenland, Ameisenland, über alles“ in den Krieg marschieren und die düster gewandten, Armbinden tragenden Anhänger Mordreds die Juden zusammentreiben, wird selbst dem tumbesten Zeitgenossen klar, worauf White abzielt. So lobenswert die Statements gegen Krieg, Nationalsozialismus und Kommunismus letztlich sind: Hier und da hätte ich mir ein wenig Zurückhaltung, eine Spur mehr Arthur und ein bisschen weniger White gewünscht.

Erst in den letzten beiden Büchern pflegen sich die philosophischen Erörterungen und Betrachtungen in die ausgewählten Sagenelemente ein, liest sich die Handlung flüssiger und nicht mehr nur wie ein Stichwortgeber für Whites Sozialkritik. Hier ist es gelungen, gerade noch rechtzeitig den Hebel umzulegen, denn während der Lektüre des zweiten Buches war ich mehrmals versucht, die Lektüre zu beenden. Zu viele Wiederholungen, zu viele ausschweifende Beschreibungen, zu wenig Zug in der Erzählung. Hinzu kommen die ständigen Verweise auf Thomas Malory, die irgendwann einfach nur noch stören und den Eindruck nahe legen, als hätte der Autor an dieser Stelle einfach die Verantwortung für nähere Informationen und Unterhaltung in andere Hände legen wollen. Das Buch „Der missratene Ritter“ entschädigt dann jedoch für vieles, da aus Figuren, welche vorher schlicht die Botschaft des Autors vermitteln sollten, plötzlich Menschen werden, welche aufgrund ihrer charakterlichen Schwächen und eines fragwürdigen Ehrenkodexes in Konflikte geraten, an denen sie letztlich scheitern. Wie das geschieht, ist tragisch, atemberaubend und besonders gegen Ende zutiefst traurig. Allein die letzten 30 Seiten des Buches lohnen den durchaus vorhandenen Aufwand und heben die Gesamtwertung von „Der König auf Camelot“ um ein Vielfaches.

Insgesamt ist Whites vierbändige Reihe eine sehr satirische, geistreiche Fassung des Artus-Mythos, welche trotz angestaubter Sprache auch heute noch überzeugt, von der Klasse eines Tolkiens aber doch ziemlich weit entfernt ist. Ein Klassiker mit Schwächen, den man dennoch mal gelesen haben sollte.

T. H. White: Lebenslauf, Bücher und Rezensionen bei LovelyBooks (2024)
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Author: Gov. Deandrea McKenzie

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